Gibt es ein Recht auf verständliche Sprache?

Anne Quabeck hat einen Aufsatz zu der Frage geschrieben: Gibt es ein Recht auf verständliche Sprache?

Der Aufsatz richtet sich an alle, die sich für verständliche Rechtssprache für Laien im rechtlichen Bereich einsetzen wollen. Juristische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. 

Zunächst wird erläutert, warum verständliche Sprache in Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz als den drei Staatsgewalten besonders wichtig ist. Dann wird auf die bestehenden rechtlichen Vorgaben zu verständlicher Sprache auf Bundesebene und im Land Niedersachsen eingegangen.

Zum Aufsatz

Der Hintergrund

In einer Demokratie ist es vorgesehen, dass die Bevölkerung entscheidet. Damit die Bevölkerung entscheiden kann, muss sie die Entscheidungen und Handlungen aus den Bereichen Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz verstehen können.

Die Rechtslage

In der Gesetzgebung gibt es eine Art Selbstverpflichtung zu verständlicher Sprache. Ein einforderbares Recht auf verständliche Gesetze fehlt jedoch.

In der Verwaltung gibt es zum Teil ein Recht auf eine verständliche Sprache. Die Rechtslage ist komplex. Es besteht ein Unterschied zwischen der direkten Kommunikation mit einer Verwaltungsstelle des Bundes und allgemeinen Informationen in gedruckter Form (z. B. Broschüren, Übersichtstexte). Für Texte in mobilen Anwendungen und auf Websites gelten wieder andere Regeln.

Im Einzelnen

Menschen mit einer geistigen und/oder seelischen Behinderung haben das Recht darauf, dass die Mitarbeitenden ihnen gegenüber in „einfacher und verständlicher Sprache“ sprechen oder schreiben (direkte Kommunikation). Menschen mit diesen Behinderungsformen haben außerdem ein Recht darauf, Erklärungen in Leichter Sprache zu verlangen. Die Verwaltungsstelle muss diesem Verlangen grundsätzlich nachgeben. Tut sie es nicht, muss sie eine schriftliche Begründung abgeben (§ 11 BGG).

Auf allgemeine Informationen in Leichter Sprache in gedruckter Form besteht hingegen kein Recht.

Der sachliche Anwendungsbereich ist somit auf die direkte Kommunikation beschränkt. Auch die berechtigte Personengruppe ist beschränkt. Um das Recht wahrnehmen – also Einfache Sprache oder Leichte Sprache verlangen zu können – , müssen die Personen das Recht kennen. Wie die Rechtskenntnis sichergestellt werden soll, ist nicht geregelt.

Für mobile Anwendungen und Websites von Verwaltungsstellen des Bundes gibt es seit Juni 2021 die Pflicht, einige wenige Informationen auch in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen (§ 12a, § 12d BGG, § 4 BITV 2.0). Die Verwaltungsstellen haben dabei einen großen Gestaltungsspielraum. Die tatsächlich vorgehaltenen Informationen in Leichter Sprache sind deshalb oft ungenügend.

In der Praxis ist es somit schwierig, ein bestehendes Recht auf verständliche Sprache einzufordern. Für Menschen ohne Behinderungen, die verständliche Sprache benötigen – also für einen Großteil der Bevölkerung – , fehlt ein Recht auf verständliche Sprache.

In der Justiz ergibt sich zwar aus einem Verfahrensgrundrecht ein Recht auf verständliche Sprache, es ist aber nicht geregelt, wie dieses Recht eingefordert werden kann.

Die Schlussfolgerung

Aus der Verständlichkeitsforschung ist bekannt, welche Eigenschaften das Verständnis erschweren können. Rechtssprache weist viele solcher Eigenschaften auf. Studien belegen, dass ein Großteil der Bevölkerung Probleme beim Verstehen der Rechtssprache hat. Einfache Sprache und Leichte Sprache sind verständlichere Formen des Deutschen, für die es Regeln oder Empfehlungen gibt. Es wäre somit möglich, Rechtssprache zu vereinfachen. Aktuell besteht das Recht auf verständliche Sprache nur für einen kleinen Personenkreis. Sofern Rechte bestehen, müssen diese auch geltend gemacht werden, also notfalls auch vor Gericht eingeklagt werden.

19.10.2022
Anne Quabeck, Diplomjuristin
Sie hat einen M. A. in Barrierefreier Kommunikation

Veröffentlicht von

ruweadmin

Uwe Roth ist Journalist, Dozent für barrierefreie Kommunikation und Texter für die Einfache Sprache. Er arbeitet beim Deutschen Institut für Normung (DIN) an Regelwerken für die Leichte und Einfache Sprache mit. Er ist zudem Mitglied in der Plain Language Association International. Uwe Roth hat Sozialwissenschaften studiert, in Brüssel als Korrespondent gearbeitet und war zehn Jahre Redakteur in einem großen Medienhaus in Stuttgart.

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