Einfache Sprache in Österreich

Das bekannteste Angebot Österreichs in Einfacher Sprache beruht auf einem Missverständnis:  Seit 2020 stellt der ORF täglich „Nachrichten in Einfacher Sprache“ auf seine Website. Zielgruppe sind „Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht gut lesen können“.

So gesehen sind diese Nachrichten eher der Leichten Sprache zuzuordnen. Dafür sprechen auch die sehr kurzen Sätze und Erklärungen von schwierigen Wörtern. Weil für Leichte Sprache aber genaue Regeln gelten – bis hin zu Schriftgröße und einer etwas reduzierten Grammatik – laufen Angebote, die auf Barrierefreiheit abzielen, in deutschsprachigen Medien häufig unter dem Label „Einfache Sprache“. So muss sich niemand dem Vorwurf aussetzen, bestimmte Standards nicht zu einzuhalten.

Beim Publikum kommt das Angebot gut an: Im Jahr 2021 wurde die Rubrik „Nachrichten in Einfacher Sprache“ 2,7 Millionen Mal aufgerufen. Seit Jänner 2022 sendet der ORF nun auch in den  Regionalradios vom Burgenland bis Vorarlberg einmal täglich „Nachrichten in Einfacher Sprache“. Die wiederum sind vom Sprachniveau von den regulären Radionachrichten kaum zu unterscheiden, einzig das Sprechtempo bei der Präsentation ist ungewohnt langsam.

Dem Publikum ist die Unterscheidung ob „einfache“ oder „leichte“ Sprache egal. Kaum jemand weiß, dass es hier Unterschiede gibt. Wenn das größte Medienunternehmen des Landes sprachliche Vereinfachung zum Thema macht, ist jedenfalls für Aufmerksamkeit gesorgt, und so kommt in Ansätzen eine Diskussion über die Verständlichkeit von Texten in Gang.

Während Leichte Sprache von Organisationen von Menschen mit Behinderungen schon länger propagiert wird und an Bedeutung gewinnt, ist Einfache Sprache in Österreich bis jetzt kaum ein Thema. Ein gemeinsames Lobbying von Text-Agenturen, Forschungseinrichtungen oder Interessenvertretungen, die sich für verständliche Sprache einsetzen, gibt es nicht.

Verständlichkeit braucht Gesetze

„Politische Kraft entwickelt hat bisher nur die Leichte Sprache“, erklärt der Linguist Benedikt Lutz, von der Donau-Universität in Krems. Lutz war schon in den 1990er Jahren als Berater dabei, als im österreichischen Justizministerium der Versuch gestartet wurde, das Sozialversicherungsgesetz in eine allgemein verständliche Fassung zu bringen.

Der Versuch  verlief im Sand, als der politische Wille irgendwann verloren ging. Umso überraschter war Lutz, als er im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung einen Passus entdeckte, der Maßnahmen für eine „verständliche Verwaltungssprache“ vorsieht. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne hatten zuletzt aber ganz andere Sorgen, von Corona bis hin zu Korruptionsermittlungen, was erklären mag, warum der Punkt noch nicht behandelt wurde. 

Will man einer verständlichen Sprache im öffentlichen Raum den Weg bereiten, so braucht es dafür Gesetze, ist Benedikt Lutz überzeugt. Derzeit gültige Regelungen zielen vor allem darauf ab, für Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zu Informationen zu gewährleisten.

Begriffe wie Einfache Sprache oder Leichte Sprache kommen im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz aus 2016 aber nicht vor. Im Web-Zugänglichkeitsgesetz von 2019 wird dagegen gefordert, dass die Inhalte der Websites und von Bundeseinrichtungen „verständlich“ sein müssen. Für die Umsetzung gelten allerdings Übergangsfristen.

Wirtschaft wünscht Zertifikate

Auf die Frage, was Einfache Sprache genau ist, erhält man von Fachleuten unterschiedliche Antworten. Einigkeit herrscht darin, dass sich Einfache Sprache an eine sehr „große Zielgruppe“ richtet, dass die Texte „allgemein verständlich“ sein und sie die „Kommunikation erleichtern“ sollen.

Definitorische Unterschiede drüber hinaus haben zum Teil mit den Anwendungsgebieten zu tun. Die reichen von gut lesbaren Bedienungsanleitungen oder Informationen im Konsumentenschutz, über verständliche Verwaltungssprache oder die Wissenschaftsvermittlung, bis hin zu schnörkellosen journalistischen Texten. Das Fehlen einer allseits anerkannten Grundlage für Einfache Sprache macht es auch für Textagenturen schwieriger, ihre Angebote den Kunden näherzubringen.

„Wir werden von Unternehmen immer wieder gefragt, ob wir ein Zertifikat für unsere Texte ausstellen können“, berichtet Christiane Lerbscher vom Wiener Domus Verlag, der eine breite Palette an Sprachdienstleitungen anbietet, darunter auch Leichte und Einfache Sprache. Lerbscher ortet in der Wirtschaft ein vermehrtes Interesse an „effizienter Kundenkommunikation“, etwa bei Banken oder Versicherungen. Eine Zertifizierung würde den Unternehmen mehr Sicherheit bieten, dass Agenturen gleichermaßen verständliche wie korrekte Texte abliefern.

Zwei Text-Versionen ist eine zu viel

capito, der Marktführer für Dienstleistungen in Einfacher und Leichter Sprache im deutschsprachigen Raum, hat sich immerhin den Prozess der Texterstellung vom TÜV zertifizieren lassen. Das Social-Franchise Netzwerk capito arbeitet mit einem Stufenkonzept, das sich auf den Europäischen Referenzrahmen für den Fremdsprachunterricht und dessen Kompetenzstufen stützt. A1 – A2 wäre demnach Leichte Sprache, B1 – B2 würde der Einfachen Sprache entsprechen. So soll die Erstellung von unterschiedlich anspruchsvollen Texten für unterschiedliche Bedürfnisse gewährleistet werden.

Diese Strategie hat die Stadt Wien einige Jahre verfolgt, ist davon aber wieder abgerückt. Eine Analyse der Website der Stadt hatte ergeben, dass die „Leicht Lesen-Texte“ praktisch nicht aufgerufen wurden. Dies mag damit zusammenhängen, dass sie die Zielgruppe die Texte einfach nicht gefunden hat, vermutet Eva Gassner vom Presse- und Informationsdienst der Stadt. Andererseits hätten sich Menschen mit unterschiedlichster Sprachkompetenz offenbar nicht angesprochen gefühlt.

Die Kaiserin und ihr Buta Ember

Hinzu kam ein erhöhter Arbeitsaufwand, wenn bei Updates gleich zwei Text-Versionen geändert werden mussten. Eva Gassner: „Wir bieten jetzt nur noch eine Text-Version in einer leicht verständlichen Sprache an, die dem Niveau B1 entspricht. Damit wollen wir möglichst breiten Gruppen ansprechen.“ Eine Herausforderung dabei: Bei Bescheiden oder bei Informationen und Anträgen, zum Beispiel für Sozialhilfe, muss trotz Vereinfachung Rechtssicherheit gewährleistet sein.

Rechtstexte stellen für sprachliche Vereinfachung nach wie vor die größte Herausforderung dar. In Österreich gibt es dazu eine lange Tradition. Kaiserin Maria Theresia (1717 bis 1780) ließ alle Gesetzentwürfe immer zuerst einem „buta ember“ vorlegen – so der ungarische Begriff für einen einfachen Menschen.

Dieser musste den Inhalt mit seinen eigenen Worten wiedergeben. Konnte er das nicht, ließ die Kaiserin den Text so lange überarbeiten, bis er verständlich war. Sagt jedenfalls die Überlieferung. Noch heute stammen in Österreich rund 30 Prozent der Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahr 1811. Allgemein verständlich sind aber weder die alten noch die neuen Paragrafen.  

08.02.2022
Georg Wimmer

Veröffentlicht von

ruweadmin

Uwe Roth ist Journalist, Dozent für barrierefreie Kommunikation und Texter für die Einfache Sprache. Er arbeitet beim Deutschen Institut für Normung (DIN) an Regelwerken für die Leichte und Einfache Sprache mit. Er ist zudem Mitglied in der Plain Language Association International. Uwe Roth hat Sozialwissenschaften studiert, in Brüssel als Korrespondent gearbeitet und war zehn Jahre Redakteur in einem großen Medienhaus in Stuttgart.

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